Die »literarische Fauna« auf Capri und in Neapel

Buchtipp: "Spaziergänge durch das literarische Capri und Neapel"
Schon viele Schriftsteller ließen sich von der kleinen Insel im Golf von Neapel inspirieren und schufen den "Mythos Capri". Im 18. Jahrhundert wurde auch Neapel zu einem beliebten Reiseziel von Künstlern aus aller Welt.
Capri (© Redaktion - Portanapolicom)
Aussichtsterrasse auf Capri an der Via Tragara (© Redaktion - Portanapolicom)

Der folgende Text ist eine Leseprobe aus dem Buch “Spaziergänge durch das literarische Capri und Neapel” von Stefanie Sonnentag.
Die Autorin lebt und arbeitet als freie Korrespondentin in Neapel und Capri. Sie schreibt für Reisemagazine und arbeitet für ARD-Fernsehprogramme zu den Themen "Reise und Kultur im Mezzogiorno". Von ihr sind 2013 auch die beiden Marco Polo Reiseführer über die Insel Ischia und Süditalien erschienen.

Wir danken Stefanie Sonnentag und dem Verlag für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.
(Copyright © 2003 by Arche Verlag AG, Zürich-Hamburg)
 

"Capri treibt geheimnisvoll auf den durchsichtigen Wassern." (André Gide)

Die Sehnsucht nach »einem der schönsten Orte der Welt« (D. H. Lawrence) beginnt in der Neuzeit mit der Entdeckung der Blauen Grotte durch den Maler August Kopisch.

Abenteuerlustig streifte der junge Mann aus Breslau im August 1826 über die seit der Antike von Fremden kaum beachtete Insel und ließ sich von einem auf Capri lebenden Notar für eine nur von der Seeseite aus zugängliche Grotte begeistern. Natürlich wußten die Einheimischen auch damals bereits von der Existenz dieser von Meerwasser durchspülten Kalksteinhöhle. Doch fürchteten sie sich vor der Grotte als einem Ort des Teufels, denn die in diesem natürlichen Wasserbecken vom Meeresgrund heraufglitzernden Lichtspiele hatten die Inselgeistlichen jahrhundertelang als einen Spuk böser Geister gedeutet. Kopisch, der die Grotte mutig mit einer brennenden Pechpfanne schwimmend auskundschaftete, kam sofort hinter das Geheimnis der phosphorblau leuchtenden Wellen: Durch eine breite, unter Wasser liegende Öffnung in der äußeren Felswand dringt das von oben schräg einfallende Tageslicht in die Grotte, spiegelt sich am hellen Sandgrund wider und strahlt in einem übernatürlichen Blau von unten herauf.

Weil Kopisch sich in dieser Zeit seinen Lebensunterhalt in Kampanien als cicerone, also als Fremdenführer, für wohlhabende deutsche Reisende verdiente, machte er die einzigartige Grotte sofort zum Höhepunkt seiner Touren am Golf von Neapel. Gleichzeitig schwärmte er auch in der deutschen Künstlerkolonie in Rom von dem magischen Blau. Zu seinen Freunden dort zählten zahlreiche Schriftsteller, die, wie in der Zeit der Romantik üblich, ihre Sehnsucht nach dem Süden mit seinem milden Klima und der besonderen Lebensfreude seiner Einwohner in einem längeren Italien-Aufenthalt auslebten.
 
Zuerst berauschten sich am tiefen Blau der Grotte die mit Kopisch befreundeten Schriftsteller aus Deutschland, darunter August Graf von Platen und Wilhelm Waiblinger. Ihre Gedichte und Erzählungen lockten weitere deutsche Autoren an, die sich ebenfalls von Capri inspirieren ließen. So entstand im 19. Jahrhundert rasch eine Begeisterung für diese so bezaubernde Insel, auf die sich die Sehnsüchte der deutschen Seele nach Sonne, Meer und Palmen damals wie heute herrlich projizieren lassen.


 
Der Mythos Capri ist also in erster Linie eine deutsche Erfindung. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bereisten auch Schriftsteller aus Frankreich, England, Rußland und im 20. Jahrhundert aus anderen Teilen Italiens die Insel. Viele von ihnen, Roger Peyrefitte, Graham Greene, Alberto Moravia und Elsa Morante zum Beispiel, kehrten immer wieder zurück. Andere, wie Norman Douglas, Francis Brett Young oder Curzio Malaparte, bauten sich hier ein eigenes Haus und lebten längere Zeit auf Capri. Denn »die Insel hat das Gefährliche, daß man, einmal gekommen, sich nicht wieder loszureißen vermag«, wie es der Literaturkritiker und Philosoph Walter Benjamin ausdrückte, nachdem er seine Abreise im Sommer 1924 mehrmals aufgeschoben hatte.

Eine ebenso dichte »literarische Fauna« zeigt sich im Lauf der Jahrhunderte auch in der Hafenstadt Neapel. Doch hatten die Schriftstellerinnen und Schriftsteller meist ein anderes Motiv für den Besuch dieser Stadt: Während sie auf Capri in einen einzigartigen Mikrokosmos eintauchten und ein kleines Paradies für sich eroberten, bewegten sie sich in der Stadt Neapel vorwiegend als Voyeure. Vor allem in den Gassen der Altstadt waren sie gefesselt vom Anblick »der elenden, schmutzigen, verhungerten, in Lumpen gekleideten … Volksmassen« (Curzio Malaparte). Als typisches Phänomen erlebten sie auch die für Neapel bereits seit dem 19. Jahrhundert charakteristische Geräuschkulisse, den »unerträglichen Straßenlärm« (Fanny Mendelssohn).
 
Viele nutzten die Stadt als Zwischenstation auf ihrer Reise nach Capri, Sizilien oder an die amalfitanische Küste. Attraktiv war Neapel seit dem späten 18. Jahrhundert auch als Ausgangspunkt für Tagesausflüge in die antike Stadt Pompeji oder auf den Vesuv, der die Touristen noch bis 1944 durch spektakuläre Ausbrüche beeindruckte.

Im Mittelpunkt der folgenden sieben Spaziergänge stehen Schriftstellerinnen und Schriftsteller, deren Reisen nach Capri und Neapel unzählige Spuren vor Ort und in ihrem Werk hinterlassen haben. Ergänzend werden auch einzelne Komponistinnen und Komponisten, Malerinnen und Maler porträtiert.
 
von Stefanie Sonnentag (Copyright © 2003 by Arche Verlag AG, Zürich-Hamburg)

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