Leidenschaftlicher Körpereinsatz: Kunst des Gestikulierens

Ein Neapolitaner über seine Lieblingssprache
Eine der charakteristischsten Eigenschaften aller mediterraner Völker ist wohl das "Sprechen" mit den Händen. Doch erst im Schatten des Vesuvs, wo das Gestikulieren die erstaunlichsten und bizarrsten Formen annimmt, wurde diese Kommunikationsform zu einer blühenden Kunst verfeinert
Ma che vuoi? (© Francesca Buommino - Redaktion - Portanapoli.com)
Ma che vuoi? Was willst Du? (© Francesca Buommino - Redaktion Portanapoli.com)

Mit Sicherheit begegnen Sie bei einem Spaziergang durch Neapel mindestens einem Einheimischen beim Telefonieren mit seinem unabkömmlichen Handy. Ich möchte Sie einladen, für einige Minuten dem hektischen Tanzrhythmus seiner freien Hand zu beobachten: Geschlossene Finger öffnen sich plötzlich, die Handfläche scheint mit kreisenden Bewegungen unsichtbaren geometrischen Spuren in der Luft zu folgen und jeder Satz wird von rhythmischen Bewegungen untermalt. Alles mit dem Ziel, die sprachlichen Ausführungen dem Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung verständlicher zu machen! Dabei garantiere ich Ihnen, dass andere Neapolitaner auch aus beträchtlicher Entfernung dem Gesprächsthema genau folgen können. 

In Zeiten des Datenschutzes ist die Sprache der Gesten bestimmt nicht mehr die sicherste. Trotzdem benutzen wir Neapolitaner unsere Hände regelmäßig und in jeder Situation, auch wenn die Barriere eines Telefons ihren Gebrauch völlig überflüssig macht. 

Doch erleben Sie es selbst! Versuchen Sie einen Einheimischen zu überreden, irgendeine Unterhaltung ohne Hände zu führen. Falls es Ihnen gelingen sollte einen Freiwilligen für dieses amüsante Experiment zu finden, rate ich Ihnen dessen Hände auf seinem Rücken festzubinden ... zur Sicherheit. Nun werden Sie beobachten können, dass die Ausdrucksfähigkeit der bedauernswerten Versuchsperson stark eingeschränkt ist. Es scheint, als würde ein fundamentaler Teil ihres Sprachzentrums plötzlich fehlen. Ich habe es selbst an mir ausprobiert!

Gibt es eigentlich Schulen für das Erlernen der zahlreichen Gesten?
Diese Frage stellt sich, wenn man die unbegrenzte Ausdrucksfähigkeit der Hände in Neapel kennen lernt. Aber nicht eine Schule, sondern die tägliche Praxis ist unsere Lehrerin: Tag für Tag, in der Familie, auf der Straße – jede Unterhaltung wird von den beispiellosen Aktionen der Hände begleitet. So wird die Sprache der Hände allmählich verfeinert und das Vokabular angereichert.

Bereits als Kind wurde ich in den engen Gassen Neapels Zeuge von lautlosen Nachbarschaftsgesprächen. In wenigen Sekunden gaben Frauen Einkaufslisten weiter und tauschten Indiskretionen über den Mann von nebenan aus. Manchmal riefen auch wütende Mütter eine unbestimmbare Zahl von Kindern mit einfachen, aber gewandten Gesten vom Balkon zur Ordnung.

Auch die Sprache der Hände hat Dialekte
Es ist nicht schwierig in verschiedenen Regionen des antiken Königreichs Neapel zwei Personen zu finden, die mit derselben Geste völlig gegensätzliche Dinge zum Ausdruck bringen. Vergleicht man beispielsweise das Handvokabular eines Neapolitaners mit dem eines Kalabresen oder Sizilianers stellt man erstaunliche Unterschiede fest.

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